Reden ist Gold: Zündfunk Netzkongress 2015

Ein paar Tage liegt der liebevoll als „Weißwurst-Republica“ betitelte Netzkongress des Zündfunks im Münchner Volkstheater zurück und uns als Besucherinnen und Besuchern wurde mal wieder vor Augen geführt, wie nachhaltig Handeln und Wirken in der digitalen Welt die Sphäre des Analogen beeinflusst.

Davon konnte zuallererst Markus Beckedahl vom Blog Netzpolitik.org bei seinem sehr unterhaltsamen Vortrag über die Landesverratsvorwürfe erzählen, die ihren medialen Höhepunkt genau in der kleine Verschnaufpause zwischen Griechenlanddebatte und Flüchtlingskrise hatten. Fast skurril mutet es an, wie die Redaktion um Beckedahl und Andre Meister mit ihren Informationen zum Ausbau der Internet-Überwachung die erhoffte Aufmerksamkeit erst verfehlten, diese dann aber Monate später in unerwartet starker Form auf sie hereinbrach. Die Vorwürfe, Netzpolitik würde mit dem Verbreiten von Staatsgeheimnissen „fremde Mächte begünstigen“ wollen und „Deutschland benachteiligen“, brachten aufgrund der Solidaritätswelle durch Medien und Privatpersonen, nicht nur den Verfassungsschutzpräsidenten und den Generalbundesanwalt in Erklärungsnot. Auch die Bundesregierung wiegte sich in Unwissen über die Einleitung der Strafverfolgung, was angesichts der Seltenheit eines solch brisanten Verfahrens gegenüber Journalisten eher unglaubwürdig erscheint. Beckedahl und Meister rasten auf jeden Fall durch einige turbulente Wochen, in denen jeder Morgen eine neue Wendung brachte. Dass Blogger mittlerweile genauso journalistische Arbeit leisten wie ihre Kollegen in den Zeitungen und das auch noch mit weniger Ressourcen und rechtlichen Absicherungsmöglichkeiten, ist dabei nur einer der Aspekte, der zum Gespräch kam. Unklar sind immer noch viele Zuständigkeiten, die im Hinblick auf das Digitale entstehen.

Als später die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf der Bühne steht, pocht sie darauf, dass der Einzelne sich nicht gegen Facebook und Co. auflehnen kann (außer vielleicht er heißt Max Schrems), sondern, dass die Politik Rechte auf Privatheit vertreten muss. Trotzdem kommt der Eindruck auf, dass die Politik darin in der letzten Zeit eher schlecht als recht aufgefallen ist, sodass es am Ende doch auf das Engagement der Bürger hinausläuft, die eine gesellschaftliche Stimmung schaffen müssen, in der der fehlende Datenschutz nicht in Bedeutungslosigkeit versinkt. Das Netz ist also kein Raum, der sich von alleine verändert, sondern reflektiert gesellschaftliches Umdenken bzw. kann dafür als Organisationsmittel und Beschleuniger genutzt werden.

Von einer allgemeinen Stimmung, die sich ändern müsse, erzählten auch Kübra Gümesay, Anne Wizorek und Anke Domscheit-Berg, die die Diskussion unter dem Titel „Was bringt das Netz für Frauen mit Haltung“ führten. Alle drei äußern sich in ihren Blogs, in Zeitungsartikeln und in ihren Büchern zu feministischen und netzpolitischen Themen und decken dabei die gern unter den Teppich gekehrten Formen gesellschaftlicher Diskriminierung auf. Leider ist unter den Gemeinsamkeiten der drei Frauen nicht nur ihre Liebe für die Möglichkeiten, die ihnen das Netz zur Meinungsäußerung bietet, sondern auch die Tatsache, dass sie dafür mit Hasskommentaren und Gewaltandrohungen zu rechnen haben. Denn wie ein Zuschauer des Podiums bemerkte, kann bereits die Sichtbarkeit des Geschlechts Anlass für bestimmte Menschen sein, sich mit inhaltsfernen und irrelevanten Beiträgen in den Kommentarspalten zu ergießen. So lächerlich diese als unbeteiligte/r LeserIn wirken, haben sie trotzdem reale Auswirkungen auf die adressierten Personen. Nicht selten bringen ausfällige Aussagen durch den verstärkenden Effekt des Internets Nutzer und Nutzerinnen zum verstummen oder zum abwägen ob ein bestimmter Beitrag die erwarteten Reaktionen noch wert ist. Eine Mitarbeiterin der ARD, die als Zuschauerin anwesend war, äußerte sich dazu mit einer persönlichen Erfahrung aus ihrem Arbeitsleben, der ihr seit dem medialen Hoch der Flüchtlingsdebatte einige Entscheidungen schwerer machte: Sollte sie den harmlosen Beitrag über eine Band über die Social-Media-Kanäle verbreiten oder doch das Video über Geflüchtete, bei dem das böse Nachspiel mit den Kommentaren schon abzusehen war?

Was könnte man dagegen tun? Wizorek, Gümüsay und Domscheit-Berg kommen zu dem Schluss, dass die Liebe im Netz mit genauso großem Eifer organisiert werden müsse, wie der Hass. Bei der Meinungsäußerung im Netz wäre es also ein guter Schritt, nicht nur seinen Unmut über das ein oder andere Stück kundzutun, sondern mit der gleichen Inbrunst öffentlich zu zeigen, wenn einem etwas gefällt. Oder die Position des stillen Zaungasts eines Shitstorms zu verlassen und aktiv dagegenzuhalten. Möglich, dass eine Person hinter einem anderen Bildschirm diesen Beistand dankbar annimmt.

Einen ganz anderen Aspekt der Verschränkung von on- und offline, stellte Sammy Khamis eindrucksvoll in seinem Vortrag über „Flüchten mit Facebook statt Schleusern“ dar. Die Vernetzung über Whatsapp und Facebook ist ein so essentieller Teil der Flucht geworden, dass spätestens nach Khamis´ Schilderungen klar sein sollte, wieso so viele Geflüchtete ein Handy besitzen. In speziellen Facebook-Gruppen werden Schleuser gefunden und nach Preis und Aktivität verglichen, Fluchtrouten ausgetauscht und über die aktuelle Nachrichtenlage informiert. In einer Phase der absoluten Fremdbestimmtheit, bleibt das Handy den Geflüchteten als einer der wenigen Gegenstände, um sich selbst zu organisieren oder ein Lebenszeichen von den Familienangehörigen zu erlangen.

Fotos: Zündfunk